Marhaba! *

Im vergangenen Monat haben wir den Libanon besucht. Vom 10. bis 20. März durften wir das kleine Land im Nahen Osten bereisen. Man könnte fast ein Buch schreiben mit all unseren Erlebnissen. Für diesen Newsletter brechen wir unsere Erfahrungen auf drei Schlüsselerlebnisse herunter:

Antoinette, ein typisches Beispiel der libanesischen Gastfreundschaft

Unser zweiter Tag im Libanon - nass, kalt & regnerisch. Wir fuhren ins Gebirge, um einen Sommerpalast zu besichtigen. Dort erklärte unser libanesischer Begleiter Josef, dass man hier früher zuerst drei Tage lang bewirtet wurde, bevor man zum Business überging. Später besuchten wir das Städtchen Dair al-Qamar. Bei einer ehemaligen Synagoge standen wir vor verschlossenen Türen. Sofort wurde nach der Schlüsselverwalterin gesucht und munter plaudernd erschien Antoinette, zeigte uns die Synagoge und erkundigte sich nach unserer Herkunft und unserem Wärmebefinden. “Come with me!”. Antoinette verwarf ihre Hände und bugsierte uns mit einem Schwall arabischer Aufforderungen zur nächsten Türe. Kurz darauf sassen wir dicht gedrängt in ihrer einfachen Stube, welche mit einem Ofen aufgerüstet worden war. (Aufgrund des übermässig kalten Winters und den zu hohen Gas- und Ölpreisen haben viele Libanesen Holzöfen in ihre Häuser einbauen lassen.) Zwei Nachbarinnen wurden sogleich herbeigerufen, türkischer Kaffee gekocht und mit Händen und Füssen geplaudert. Als alle aufgewärmt waren wurden die hauseigenen Produkte feilgeboten und so fühlten wir uns trotz Kälte und Regen gestärkt wie nach einem Aufenthalt in einem Sommerpalast :).

Der überfüllte Markt in Tripoli

Das Tagesziel war das heilige Tal - das Qadisha Valley. Dass dort Schnee liegen würde war uns bekannt. Dass die Strassen komplett zugeschneit sind nicht. Mit unserem Fahrzeug war es aussichtslos – nach kürzester Zeit begannen alle zu beten. Gut ist das Land so klein und in Kürze ist man vom tiefen Schnee in milderen Gegenden. So besuchten wir stattdessen ein griechisch-orthodoxes Felsenklosters und die zweitgrösste libanesischen Stadt, Tripoli. Bei einer Burg oberhalb von Tripoli erklärte uns Josef, dass sich hier der ärmste Stadtteil des gesamten Nahen Ostens befinde. Währenddessen wurden wir kritisch vom präsenten Militär beäugt. Dann ging es los zum Markt in den Stadtkern. Es ist untertrieben zu sagen, dass wir auffielen. Kinder kamen und liefen mit uns mit, von allen Seiten her wurden wir von den Händlern angesprochen. Ihr Ziel war es aber nie uns etwas zu verkaufen, sondern uns willkommen zu heissen: “Welcome to Lebanon!” war das Fazit jedes Gesprächs. Nach der Hälfte des Marktes wurden wir bereits mit “Hello Switzerland!” begrüsst – unsere Präsenz hatte sich schnell herumgesprochen. Vor einer Moschee erkundigte sich ein alter Libanese wie viele von unserer Gruppe denn nun Schweizer, Deutsche und Amerikaner seien – er müsse das für seine Statistik festhalten. Auf dem Rückweg sagte uns Josef ernst: "Wisst ihr, das Schlimmste für uns im Libanon ist der Gedanke, dass man uns vergessen hat und niemand mehr an unseren Schmerz denkt. Danke, dass ihr heute Tripoli besucht habt und den Menschen mit eurem Lachen gezeigt habt, dass sie angesehen werden." Bewegt kehrten wir zurück. So beschenkt, als hätten wir tatsächlich das heilige Tal besucht.

Verkehr ohne Signale und Regeln

Der Verkehr war unser erster Kulturschock, denn vom Flughafen fuhren wir eine Stunde zur Unterkunft. Es ist schwierig zu beschreiben was alles auf der Strasse abgeht. Es gibt Lastwagen, Busse, Autos, Mopeds, Fahrräder und Fussgänger auf der Autobahn – aber keine Regeln. Father Josef hat es folgendermassen zusammengefasst: “Rules kinda exist: The strongest goes first.” Die seltenen Strassenschilder und Strassenmarkierungen sind nur Dekoration, ebenso die Lichtsignale. (Diese funktionieren nicht weil es keinen Strom gibt und mit Strom würden sie aufgrund mangelnder Wartung ebenfalls nicht funktionieren). Der Blinker wird nie genutzt, nur der Warnblinker kommt ab und zu zum Einsatz – jedoch aus uns unerklärlichen Gründen. Jederzeit mitten auf der Strasse anhalten, um mit einem anderen Autofahrer etwas zu besprechen ist völlig legitim. Und Autofahrer, welche nicht multitaskingmässig nebenbei noch Nachrichten oder Sprachnachrichten versenden sieht man kaum. Dennoch ist die Stimmung entspannt. Unser top Autofahrer „Habibi Cosimo“, der spontan als Fahrer angeworben wurde, hat offenbar verborgene libanesische Wurzeln – bestens gelaunt und mit einer unerschütterlichen Seelenruhe chauffierte er uns durch den Feierabendverkehr Beiruts. Auch die Fahrzeuge selbst sind eine Kategorie für sich. Meistens mit über 200’000 km aus Europa exportiert sieht man oft mehr Rost als Farbe. Spannend waren auch immer die Lieferwagen: Diese sind immer noch mit holländischen, deutschen oder schweizerischen Firmenbezeichnungen beschriftet. Ein Hauch Europa in Arabien.
Neben all den schönen und lustigen Erlebnissen, dem Einblick in die überaus reiche Kultur und Geschichte haben wir auch täglich Einblick in die zahlreichen Tragödien und Schwierigkeiten dieses versehrten Landes erhalten: unverheilte Wunden aus dem Bürgerkrieg, Inflation, Explosion, Covid, Korruption – das Land schlittert von einer Krise in die nächste. Umso bewundernswerter die Hoffnung und das Gottvertrauen welches wir erleben durften. Vieles können wir von den Libanesen lernen und es hat auch unseren Blick verändert, was wir jetzt zurück in der Schweiz besonders schätzen dürfen.
Auch vom Hl. Charbel überbringen wir euch die besten Grüsse und seinen Segen!
* Marhaba (arabisch) bedeutet wörtlich übersetzt „Gott ist Liebe“ und wird im Libanon als Begrüssungsformel verwendet.